Heute möchte ich Sie mitnehmen in eine Ecke Europas, die vielleicht etwas unbekannter ist, wohin sich nicht sehr viele Touristen trauen, die auf den ersten Blick vielleicht nicht ganz so viele Reize besitzt. Die Wahrheit ist aber eine ganz andere. Heute möchte ich ihnen vom Pannonischen Becken erzählen. Heute geht es nach Österreich. In den Südosten. Tief rein. Hier können sie was erleben.

Die Herkunft

Pannonien, so nannten die Römer eine ihrer vielen Provinzen, ist der Name einer sehr großen Region. Politisch gesehen gehört die Pannonische Tiefebene heute zu acht verschiedenen Staaten. Sie erstreckt sich über große Teile Ungarns, den Ostrand Österreichs, der Slowakei, Rumänien, Serbien, Kroatien, den äußersten Nordosten Sloweniens und dem äußersten Westen der Ukraine. Geologisch stellt die Tiefebene eines der großen Sedimentbecken Europas dar. Hier war früher das Urmeer. Das muss man sich mal vorstellen! Und nun spanne ich mal einen großen Bogen zum Weinbau und lande im Burgenland. Wenn sie hier in den Weinbergen des Leithagebirges, wo beispielsweine auch unsere Produzenten wie Gernot Heinrich oder Hans Nittnaus ihre Rebzeilen stehen haben, und sich mit ein wenig Geduld auf die Suche machen, dann können sie hier tatsächlich schönste Muschelfossilien in den unterschiedlichsten Formen finden. Wenn sie vom Leithagebirge auf die Tiefebene schauen, dann schauen sie im Grunde auf das, was früher der Meeresboden war. Entsprechend viele Kieselsteine liegen dort auf einen schwereren Heideboden. Der Neusiedlersee bei Gols ist fast schon so etwas wie das Epizentrum des österreichischen Weinbaus. Hier ist so unfassbar viel möglich, viele Weinstile sind hier realisierbar, weil die Bodenvielfalt enorm und die Mikroklimata sowohl für Rot-, als auch Weißweine sehr gut geeignet sind. Und dann eben auch für Edelsüßweine.

Der Produzent: Weinlaubenhof Kracher

Ein Produzent, der bereits seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts in einer beeindruckend- konstanten Arbeit Jahr für Jahr zeigt, dass am Neusiedlersee grandiose Süßweine entstehen können, ist der Weinlaubenhof Kracher aus Illmitz. Alois Kracher sen., dann Alois „Luis“ Kracher jun. und seit 2007 Gerhard Kracher bespielen die gesamte Klaviatur im Bereich der Süßweine. Angebaut werden die Rebsorten Welschriesling, Chardonnay, Traminer, Scheurebe, Muskat-Ottonel und etwas Zweigelt. Jedes Jahr werden aus ihnen zwischen 10 bis 15 verschiedene Trockenbeerenauslesen in zwei verschiedenen Ausbaustilistile auf die Flasche gezogen. Weine aus den großen Holzfässern oder Edelstahltanks werden „Zwischen den Seen“ getauft. Die Weine der Linie „Nouvelle Vague“ werden in neuen Barriques vinifiziert. Naturgemäß offenbaren sie eine deutlich tiefere Würze und geschmackliche Länge. Einen Wein aus der „Nouvelle Vague“ werde ich ihnen hier und heute etwas näher bringen.

Die Entstehung einer Trockenbeerenauslese an sich ist ja schon ein Naturereignis der besonderen Art, bei der viele Parameter passen müssen und die Natur richtig Lust haben muss, um einen solchen einzigartigen Wein entstehen zu lassen. Aber selbst wenn das Klima stimmt, die Witterung mitmacht, der bei trockenen Stillweinen unbeliebte und gefürchtete Pilz Botrytis cynerea sich über die Trauben hermacht und den Saft im Inneren der Trauben verdunsten lässt und so einen rapiden Anstieg der Zuckerkonzentration auslöst, so gigantisch können dennoch die Unterschiede bei diesen majestätischen Süßweinen ausfallen. Zu dumm, dass der gemeine Weinfreund erst durch das Verkosten und Trinken von einer wirklich großen Anzahl an TBAs lernt, eine gute von einer mittelmäßigen, und eine wirklich gute von einer Trockenbeerenauslese aus der Weltspitze zu unterscheiden.

 

Üsterreich-Weinbau

 

Doch zunächst gilt es den Körper mit Weinen zu fluten, die einen Restzuckergehalt von oft jenseits der 200 Gramm je Liter aufweisen. Und dann Wasser. Ein Vielfaches an Wasser. Mann, da hat man aber auch einen Brand danach…

Die Bewertung der Qualität bei edelsüßen Weinen ist in Wahrheit aber nicht nur primär die Bewältigung des massig vorhandenen Restzuckers am Gaumen. Vielmehr geht es darum, den eigenen Gaumen bei der Geschmackswahrnehmung der Süße extrem zu sensibilisieren und ihn zu emanzipieren. Denn Süße überdeckt, benebelt, banalisiert, bagatellisiert, verwischt Konturen, killt die Freude an Zurückhaltung und Anmut. Hier braucht es wirklich können und viel Erfahrung. Die „Generation Alete“ hat es in die Wiege gelegt bekommen. Kinderernährung mit dem extra Schuss „Süße“ und Vanille. Die persönliche Entwicklung weg von der Süße ist kein ganz so einfaches Kapitel im Leben eines Gutschmeckers. Hinter die Süße zu schmecken erfordert Training.

Die Verkostung

Die im Jahrgang 2019 geerntete und ewig lang vergorene Trockenbeerenauslese No.5 von Kracher ist eine Trockenbeerenauslese wie aus dem Bilderbuch. Dies schreibe ich, weil ich damit den Kern der Aromatik fixieren und beschreiben möchte. Es ist diese Karamell- Basis, die das Duftbild prägt. Und es scheint so, als wenn die reichlich vorhanden übrigen Duftnoten an diesem Kern „andocken“ würden und dann einen fröhlichen Reigentanz hinlegen und sich vergnügt im Kreise drehen. Vor meinem inneren Auge: Karamell, immer wieder Karamell. Wie gemalt. Teigig in Konsistenz und unwiderstehlich appetitlich. Bis man sich zum Kern vorgearbeitet hat, schnuppert man an der deutlichen Banane vorbei. Dann die Quittenfrucht. Duftend, betörend, dieser zart-würzige Duft, das sanfte Gerbstoffsspiel wofür ich die Quitte liebe, weshalb sie meine Lieblingsfrucht ist. In der Nase außerdem Honig. Blütenhonig. Changierend und abwechslungsreich. Sommerwiese, Blütenwiese. Mit Worten ist die Leichtigkeit, mit der dieser Wein agiert, fast nicht eloquent zu beschreiben. Die Aromen in aller Deutlichkeit und Klarheit. Rein und Sauber. Einfach ganz wunderbar, einfach ganz große Klasse. Eben Weltklasse. Das ist das Niveau auf dem das Weingut Kracher bereits seit Jahrzehnten agiert.

Der Gaumen ist aromatisch von den getrockneten Aprikosen mit ihrem feinmürben Fruchtfleisch geprägt. Dann ganz überraschend laktische Aromen, die sich weiter Richtung Cappuccino entwickeln. Tolle Kombination! Vornehme Noten von frisch gemahlenem Zimt, Quittengelee und Kokos komplettieren den Gaumen. Eine Eigenschaft, die die außerordentliche Qualität der Trockenbereenauslese No.5 zum Ausdruck bringt, ist sein unverschämt lebendiges Säurespiel. Das ist irre und in dieser konsequenten Eleganz in so manchem trockenen Weißwein nicht zu finden. Sein unfassbar langes Finish und sein sehr langer Nachhall bilden den Schlusspunkt dieses denk- würdigen Süßweines.