Der Heimathafen der Familie Giovanni Rosso: das Piemont

Photo: Robert Nesta

Serralunga, im Piemont. Land der sanften Hügel, des Nebels, der Haselnüsse, des Trüffels und des Barolos. Dies ist die Heimat der roten Nebbiolo- Traube, die sich auf den kalkreichen Böden der namhaften Ortschaften wie etwa La Morra, Castiglione Falletto und Monforte d’Alba pudelwohl fühlt und Weine von unglaublicher Tiefe und Kraft entstehen lässt. Weine, die die Symbiose zwischen Rebstock, Boden, Klima und Menschen zum Ausdruck bringt und den Weinfreunden und -sammler auf der ganzen Welt Schweiß auf die Handflächen treibt. Die Alterungsfähigkeit und aromatische Komplexität, die Anmut, Eleganz und die betörende, ja, fast schön verstörende Intensität findet man in fast keiner anderen Region Italiens. Dies ist die Heimat der Familie Rosso, die seit über einem Jahrhundert Weinbau im Herzen des Piemonts betreibt. Mit dem geballten Wissen von drei Generationen wird in den Crus Cerretta, La Serra, Broglio, Meriame, Sorano, Costa bella, Lirano und Damiano nach dem unverfälschten Abdruck der Herkunft gesucht. Jahr für Jahr andere Parameter, Jahr für Jahr das gleiche Ziel. Weinbau ist eine Frage der Geduld und Beständigkeit. Nichts für schnelle Entschlüsse, kein Beruf für Ungeduldige. Zeit. Zeit ist alles, was zählt. Oft von Generation zu Generation.

Zwillinge im Geiste: Nerello Mascalese und Nebbiolo

Anfang der 2000er Jahre griff Davide, der letzte Spross der Familie im weinmachenden Alter, in das Geschehen des Weingutes ein. Zuvor ergriff er die Gelegenheit und sammelte wichtige Erfahrungen bei Weingütern rund um die Welt. Durch seine vielen Kontakte und seinem sehr neugierigen Wesen wurde er auf eine sehr interessante Weinbauregion Italiens aufmerksam, die ihn faszinierte: der Ätna auf Sizilien. Mit der dort beheimateten Rebsorte Nerello Mascalese stieß er auf eine Rebsorte, die im Kern und in vielen Facetten ihres Charakters der piemontesischen Nebbiolo Traube sehr ähnlich ist. Beide Rebsorten weisen einen sehr späten Reifezeitpunkt auf. Der piemontesische Nebbiolo wird erst dann reif, wenn sich der spätherbstliche Nebel (ital. „Nebbia“) in die Täler legt, der Nerello Mascalese hat eine stark verzögerte Reife, da er sich dem rauen Klima der Höhenlagen des Ätnas angepasst hat. Der Rebstock ist in seinem Bestreben nach Überleben sehr pragmatisch. Er überlegt sich immer eine Strategie, was er den äußeren Bedingungen in denen er lebt, den Umwelteinflüssen, entgegensetzen kann. Ein probates Mittel ist die dicke Traubenhaut, quasi als Schutz gegen Kälte und auch den kräftigen Sonnenstrahlen, denn Weinbau auf dem Ätna bedeutet auch bis zu 1500 Meter der Sonne näher sein, als das Meer. Also ist es die größte Herausforderung des weinanbauenden Menschen den richtigen Moment der Ernte abzupassen und den in geschmacklicher Harmonie zu der ausreichend vorhandenen Säure zu bringen.

Der Ätna: Territorio magico und Munjebell

Die Strada dell’Etna, die dortige Weinstraße, die an allen Crus des Ätnas vorbeiführt, wird mittlerweile auch etwas spöttisch Strada Montenapoleone genannt, die Luxus- Meile in Mailand. Während früher ein Hektar für unter 20 Tausend Euro zu haben war, sind es heute bis zu 200 Tausend Euro, wenn überhaupt mal etwas zum Verkauf angeboten wird. Als Davide Rosso zum ersten Mal auf den Ätna traf, war er noch ein schlafender Riese. Vom immensen Potenzial waren nur wenige überzeugt, in der Praxis gab es lediglich eine halbe Hand voll Winzer, die halbwegs spannenden Wein abfüllten. Pikanter weise waren es zu Beginn ausländische Persönlichkeiten oder Menschen, die von der Ferne auf diese „magische Herkunft“ („territorio magico“) des „Munjebells“ (sizilianisch für monte bello, schöner Berg) schauten und sich engagierten. Der Belgier und Naturwein- Pionier Frank Cornelissen etwa, der mit seinen schwefelfreien Weinen Insider und Freaks in Entzückung und Schrecken versetzte, je nach dem was die Hygiene der einzelnen Abfüllung zuließ. Mal Weltklasse, mal ungenießbar. Später kam Marc de Grazia dazu, der sich hauptberuflich dem Import italienischer Weine in die USA widmet. Die Big Player Siziliens, wie etwa Planeta, Cusumano und Tasca d‘Almerita haben schon längst dort Fuß gefasst und manifestieren ihre Präsenz durch futuristisch anmutende Weingüter. In Zusammenarbeit mit dem Weingut Graci hat selbst Angelo Gaja vor wenigen Jahren dort in die Neuanpflanzung von 60 ha investiert. Sehr zeitnah kam Andrea Franchetti zum Ätna, der bis zu seinem Tode im Jahr 2022 in der Toskana auf seiner Tenuta di Trinoro spektakulär intensive und konzentrierte Weine gemacht hat. Er war es, der den Gedanken der Einzellagen am Ätna hervorgehoben hat und auf diesem Wege auf das herausragende Potenzial aufmerksam machen konnte. Seine Weine mit den klangvollen Namen Sciaranuova, Rampante, Guardiola und Montedolce sind monumentale Weine und feste Größen am Ätna. Und genau hier, am nord-östlichen Hang des höchsten und noch immer sehr aktiven Vulkans Europas, in der Lage Montedolce, sollte Davide Rosso im Jahre 2016 sieben Hektar Reben erwerben, um seiner Interpretation eines Vulkan-Weines Ausdruck zu verleihen.

Der Wein und die Verkostung

Wer schon mal auf dem Ätna war, etwa zum Wandern oder nur um im Sommer die wohltuende Kühle der schattenspendenden Pinien u genießen, der weiß, wie die bestellten Böden dort aussehen. Die vielen, vielen Eruptionen, die im Laufe der Jahrtausende ihren Weg in Richtung Meer frei gebrannt haben, hinterließen zunächst die pure Verwüstung. Alles unter der Lava wurde ausgelöscht, alles verbrannte, kein Leben mehr. Tatsächlich braucht es viele Jahrzehnte, bis vulkanischer Boden seinen Sinn für den Tod verliert und wieder bereit ist neues Leben zu schenken. Im Laufe der Jahre verwandelt sich der Boden in fruchtbare Materie voller Mineralien und Nährstoffe. Die Verwitterung trägt ihren teil dazu bei und aus den großen Brocken wird feinkörniger, schwarzer Sand. Und genau auf einem solchen Boden stehen in der Contrada Montedolce die 7,5 ha Nerello Mascalese im Guyot Schnitt und wurzeln tief in dem vor Mineralien berstenden Boden. Und genau dieser Boden springt dem 2019er Etna rosso von Giovanni rosso aus dem Glas. Rauchig ist ein der Nase, der Duft erinnert beim ersten Sauerstoffkontakt an Eisen, an Blut. Dazu die am Ätna oft anzutreffende schwarze Maulbeere. Vibrationen und Glimmer. Rote Johannisbeere und Ginster, getrocknete Kräuter und rote Johannisbeere. Ein Duftbild wie ein Ausflug zum Ätna. Herrlich! Am Gaumen verwöhnt der Etna rosso dann mit einer kühlen Frucht, die an Kirschen erinnert. Geröstete Aromen, Fleisch in Tomatensugo. Spätestens hier wird klar: dieser Wein ist ein himmlischer Speisenbegleiter zur mediterranen Küche. Salumi, Brasato, Wildschwein: Der begleitet alles! Seine wässernde Säure ist fähig Schwere und Fett u dem Teller aufzuspalten, sein leicht antrocknendes Tannin macht ihn zu einem sehr sympathischen, herzhaften und authentischen sizilianischen Wein. Eine kleine Flucht aus dem Alltag nach Sizilien gefällig? Unbedingt mit diesem Wein!