Ankunft am Weingut Bernhard in Wolfsheim:
Es ist Samstag der 12. August. Ein herrlicher Tag, um Rheinhessen zu besuchen – sollte man meinen. Hochsommer, weite Weinbergslandschaften, blauer Himmel.
Leider nicht so ganz, schon am Vortag in der Pfalz war das Wetter recht bescheiden. Es ist verregnet, nein, das trifft es nicht. Es hat sich regelrecht eingeregnet, kein Ende in Sicht. Der Engländer würde sagen „it’s raining cats and dogs…“. Die Übersetzung kann man sich denken. Etwas verspätet treffen wir dann doch noch in Wolfsheim beim Weingut Bernhard ein. Martina Bernhard, Winzerin und Tochter des Weinbauers Jörg Bernhard, empfängt uns Freude strahlend, aber nach einem Blick auf die Uhr sind wir doch alle enttäuscht darüber, dass wir nicht mehr allzu viel Zeit haben werden. Machen wir das Beste draus! Die erst 22 jährige Winzerin konnte nicht anders, als in die Fußstapfen des Vaters zu treten. So absolvierte sie die Ausbildung zur staatlich geprüften Technikerin für Önologie und Weinbau, dass sie dem Weingut Bernhard treu bleiben würde stand nie zur Debatte, es war klar wohin die Reise geht. Seite an Seite mit ihrem Vater bewirtschaftet sie nun das Weingut. Worauf wir als erstes Lust haben fragt sie: einen Spaziergang durch die Weinberge, eine Kellerführung oder direkt mit der Verkostung starten – so lange die Zeit reicht, können wir alles machen. Martina muss ärgerlicher Weise um 20:30 zu einem Polterabend, die Zeit sitzt uns also im Nacken und das Wetter ist eh bescheiden, so schenken wir uns für heute den Spaziergang und lassen uns gleich in den Keller führen.
Ich liebe den Geruch eines Weinkellers, diese Mischung aus Wein, Hefe, klammen Staub, und atme erstmal tief durch. Oben bei den Stahltanks erklärt uns Martina Freude strahlend, dass man jetzt komplett auf Pumpvorgänge verzichtet und das vollreif gelesene Traubengut direkt in die Pressen gibt – dieser Vorgang ist zwar körperlich deutlich anstrengender, aber viel schonender fürs Lesegut, da bei Pumpvorgängen Stiele brechen oder Schalen platzen können und dadurch am Ende die Qualität des Weins leiden kann. Und das hier Qualität absolute Priorität hat merkt man – trotz aller Experimentierfreude will man am Ende doch einen Wein im Glas haben, auf den man stolz sein kann, und bei dessen Geschmack man die harte Arbeit vergisst.
Dass Martina anders tickt als andere wird an einer schönen Anekdote deutlich: „Wir waren feiern und es war fast 2Uhr Morgens, da habe ich gesagt ‚Ich muss Heim nach dem Wein schauen‘, das konnten die anderen nicht verstehen, aber ich muss wissen, dass alles gut läuft.“ Das war während der Gärphase, in der jeder Fehler gnadenlos bestraft werden kann. In dieser Phase werden sich oftmals die Nächte um die Ohren geschlagen, die Aussage sich rund um die Uhr um den Wein kümmern zu wollen habe ich schon von mehreren Winzern gehört – aber nicht von einer 22 Jahre jungen Frau. Allein Martinas Begeisterung für ihre Arbeit, ihr Wissen um die Trauben und deren Bedürfnisse und ihre innovative, aber bodenständige Einstellung rund um das Thema Weinbereitung beeindrucken mich nachhaltig.
Wir gehen ein Stockwerk – naja, ein Halbes – tiefer und mir fallen sofort die vielen, großen, alten Fässer auf. Gut 60-70 Jahre alt sind die Holzfässer, fassen zwischen 5000 – 8000 Liter, sind aber leider undicht. Am Stück würde man sie nie aus dem Keller bekommen, aber es bringt auch keiner übers Herz sie zu zerschlagen. Als nächstes fallen mir drei weitere besondere Fässer auf, in die die Portraits Martinas und ihrer zwei Geschwister eingeritzt sind. So viel Liebe zum Detail. Hier spürt man förmlich das großartige Fundament des Erfolgs des Weingut Bernhard: die Familie.
Vater Jörg strukturierte den Mischbetrieb erst in den 90er Jahren zum reinen Winzerbetrieb um, Gott sei Dank muss man sagen! Denn hier entstehen authentische Weine, die von Ihrer Region geprägt sind, dem Makro- und Mikroklima, den Böden, der pflegenden Hand. Jörg Bernhard ist seit 30 Jahren Weinbauer, hier profitiert Martina immens von der Erfahrung des Vaters. Ebenso profitiert das Familienweingut von den Impulsen, die „die junge Wilde“ jetzt gibt. „Wir sind zwar nicht immer einer Meinung, aber es bin nicht immer ich, die klein beigeben muss“ sagt Martina stolz, und ich finde es großartig, dass ein erfahrener Winzer der Zukunft soviel Spielraum lässt!
So bekommt Martina die Chance sich in die Riege der vielen „jungen Wilden“ einzureihen, die das Weinbaugebiet Rheinhessen wieder bis an die Spitze des Deutschen Weins treiben. Ein Paradebeispiel hierfür ist das Weingut Thörle, das Johannes und Christoph seit ein paar Jahren leiten und welches mittlerweile einer der besten Erzeuger Saulheims, wenn nicht gar Rheinhessens ist. Ebenso Tobias und Björn Knewitz aus Appenheim, die im Moment steil aufstrebenden Sterne am rheinhessischen Winzerhimmel. Natürlich Pioniere im biologischen Weinbau wie Jochen Dreissigacker oder die jungen Wilden BIOs wie Patrick Kampf nicht zu vergessen. Martina hat das Zeug und die Möglichkeiten dazu, sich mit diesen Herren auf eine Stufe zu stellen, wenn nicht gar an Ihnen vorbei zu ziehen. Mich freut es sehr, eine Jungwinzerin zu sehen, die den Weg der „jungen Wilden“ geht, die volle Unterstützung erhält und hoffentlich dafür belohnt wird.
Wieviel Liebe sie dafür aufwendet, lässt sich am Besten zeigen, wenn man ihr zuhört während sie Dinge erzählt wie „neulich hab ich beim Rausgehen aus dem Keller ein Fass gestreichelt, das war völlig normal, erst als ich draussen war habe ich mich gefragt, ob ich eigentlich bescheuert bin“. Bescheuert definitiv nicht, nein, aber mit soviel Herzblut bei der Arbeit, den Reben, den Trauben und dem Wein, dass ich diese Geste absolut nachvollziehen kann. Und diese Hingabe wird belohnt, die ersten Preise für Ihre Weine sind schon vergeben, die Perspektive für die Zukunft des Familienweinguts sieht meiner Meinung nach rosig aus.
Eine Kurzkostprobe:
Als wir im Keller fertig sind, bekommen wir die Gelegenheit uns einen kleinen geschmacklichen Eindruck von der Arbeit Martinas und Jörgs zu machen. Dazu geht es hoch in die Gutsschänke des Weingut Bernhard, die Martinas Mutter einmal die Woche bewirtschaftet. Bedingt durch die fortgeschrittene Zeit ziehen wir ein recht straffes Programm durch und probieren uns einmal durch die Silvanerpyramide. Der Gutswein präsentiert sich mit viel Primärfrucht, mir fast schon ein wenig zuviel für einen einfachen Silvaner. Den will ich lieber schlank und filigran haben, knackig frisch, nicht zu üppig. „Wir gären die Gutsweine spontan an und nutzen dann Reinzuchthefen, das erhält die Frische und Frucht im Wein“ erklärt Martina. „Die Gutsweine müssen einfach zugänglicher sein und eine breite Masse ansprechen.“ Das verstehe ich natürlich und dieser Silvaner macht auch genau das, was Martina und Jörg wollen. Er ist gefällig, unkompliziert und hat trotz der üppigen Frucht einen guten Trinkfluss. Trotzdem muss ich dabei bleiben zu sagen, dass er mir persönlich nicht gefällt, aber das hat nur etwas mit meinem eigenen Gusto zu tun, grundsätzlich haben wir hier einen sauberen und fröhlichen Weißwein im Glas.
Der Ortswein Wolfsheimer Silvaner vom Kalkmergel trocken imponiert mir schon in der Nase deutlich mehr als der Gutswein. Dicht, komplex, nach gelbfleischigen Früchten duftend, dabei weniger blumig, ich nehme leicht salzige Noten wahr und freue mich auf den ersten Schluck. Der Vorfreude erweckende Eindruck aus der Nase bleibt bestehen, im Mund zeigt sich der Ortssilvaner präzise mit angenehm kräuteriger Fruchtintensität, die von filigraner Säure gestützt wird. „Bei unseren Ortsweinen stehen wir fast immer selbst im Weinberg und lassen kaum Arbeiten von Erntehelfern machen, so können wir direkt besser selektionieren“ sagt Martina. Gelesen wird hier von Hand, in der Vegetationsphase wird der Ertrag durch abschneiden mancher Trauben an der Rebe reduziert. So konzentriert sich mehr an Inhaltsstoffen auf weniger Trauben, und das schmeckt man später. „Auch hier gären wir spontan an und lassen die Weine so lange spontan weitergären, bis die Hefen Schwächen und erst dann greifen wir ein. Ausserdem liegen unsere Ortsweine danach noch lange auf der Feinhefe“, so erklärt sich mir auch diese herrliche Balance, Dank des langen Feinhefelagers hat der Wein zwar Kraft und Mineralik, aber alle Komponenten sind wunderbar miteinander verschmolzen. Ein eleganter Wein mit Kraft, anspruchsvoll aber nicht zu kompliziert, alles in toller Balance.
An der Spitze der Qualitätspyramide des Weingut Bernhard steht der Lagenwein, im Fall des Silvaners der Wolfsheimer Sankt Kathrin. Bei der Bereitung der zwei Einzellagenweine des Familienweinguts darf sich Martina richtig austoben, und was jetzt ins Glas kommt krönt diesen Besuch. In der Nase zeigen sich erst primäre Fruchtaromen, etwas Steinobst, Litschi und Ananas, pure Exotik. Dazu gesellen sich nach und nach mehr grüne Aromen von Äpfeln, aber auch grasige, kräuterige Noten. Ein zarter Schmelz im Duft, ich tippe auf biologischen Säureabbau, rundet das Bukett ab. Im Mund zeigt sich die ganze Pracht dieses Lagenweins. Die exotische Fruchtaromatik der Nase bestätigt sich, tritt aber deutlich in den Hintergrund, vibrierende Mineralik und Rasse sind jetzt angesagt, dazu ein leicht cremiger Touch, man wird hin und her gerissen von Opulenz und Präzision. „Die Lagenweine gären wenns geht komplett spontan durch und lagern im Keller in großen Holzfässern, das gibt ihnen am Ende einfach deutlich mehr Mineralität.“ Ein enorm präsenter Wein, komplex in seiner Art, der hohe Extrakt und die lebendige Säure geben ihm ein hervorragendes Reifepotential. Bei den meisten rheinhessischen Weingütern ist es am Ende der Silvaner, der mich am meisten fasziniert, so auch hier, dieser Stil der Traube mit Frucht, Mineralik und Schmelz zu überzeugen ist einfach herrlich und ganz nach meinem Geschmack, bravo Martina!
Zu guter Letzt nimmt Martina noch eine Auszeichnung vom Regal und präsentiert uns den Wolfsheimer Weißburgunder Ortswein, der den zweiten Platz in der großen Burgunderverkostung der jungen Talente im Feinschmecker belegt hat. Den ersten Platz machten die Jungs des Weinguts Knewitz, deren Appenheimer Weißburgunder schon probiert und für gut befunden wurde.
Meine Erwartungen an einen Weißburgunder sind meist doch recht hoch. Im Gegensatz zum Grauburgunder muss er mehr erfrischen, darf gerne etwas knackiger sein aber nicht zu säurebetont, die Frucht sollte schon noch im Vordergrund stehen.
„Auch spontan angegoren, alles in Handlese geerntet, und vier Monate auf der Feinhefe“ sagt Martina und schaut doch recht erwartungsvoll und optimistisch drein während ich noch am Glas schnupper. Die Reben wachsen wie der Ortssilvaner auf Kalkmergelböden, in der Nase reicht das Aromenspektrum von saftiger reifer Birne bis dezent exotischen Noten, aber nicht aufdringlich, sondern sehr fein. Im Mund extrem kraftvoll aber nicht zu üppig, der Weißburgunder bleibt ganz Weißburgunder, elegant, erfrischend, trotz der Kraft, der Fülle, so habe ich es mir gewünscht.
Ein gelungener Abschluss einer kurzen, aber herzlichen Verkostung. Ich werde wiederkommen, mich durch das Sortiment des Weingut Bernhard probieren und weiter von dem Team aus erfahrenem Winzer und junger, wilden Winzerin begeistern lassen. Hier wächst etwas Großes heran, darüber und darauf freue ich mich sehr.