Wo sind die Preisgrenzen für einen guten und einen sehr guten Wein? Und nach welcher Obergrenze  kann die Qualität nicht mehr steigen? Auch wenn es sehr von dem Land und Anbaugebiet abhängig ist, bleibt die Frage trotzdem für viele Weinliebhaber und Laien offen. Einiges lässt sich nach ein paar spannenden Experimenten feststellen. Hier ist das erste:

Château Larcis Ducasse 2018 vs. Château Bellefont-Belcier 2019

Larcis Ducasse

Der Bordeaux Larcis Ducasse (89 % Merlot | 11 % Cabernet Franc) aus Saint-Émilion trägt die stolze AOC-Bezeichnung „1er Grand Cru Classé B“. Eine Flasche aus dem Jahrgang 2018 kostet ca. € 100 – der Einstieg in die Welt der 1er Grand Crus. Dagegen tritt der Château Bellefont-Belcier – Saint-Émilion Grand Cru in Wert von ca. € 50 an.

Stellen wir direkt klar, dass man bei dem doppelten Preis, egal im welchen Produktbereich, nicht die doppelte Leistung erwarten kann, und legen wir los.

Der Larcis Ducasse braucht viel Zeit zum Atmen. Nach einer Stunde in der Karaffe ist er immer noch etwas zurückhaltend, obwohl die Nase bereits Einiges verrät. Zerdrückte Erdbeere und Schwarze Kirsche – üppig, dominant mit eleganter Note von Waldbeeren.

Erst nach zwei Stunden ist es so weit und wir füllen den Wein in unsere Gläser. Der Nase offenbaren sich weitere Noten, blumige Töne und rote Frische. Unglaublich strukturiert und glatt. Die Grenzen jeder Komponente zeichnen sich sehr deutlich ab, was die Harmonie des Zusammenspieles gar nicht stört – wie bei einem guten Orchester. Genauso ist der Wein am Gaumen – viel Charakter, viel Struktur, kräftige und gut eingebundene Tannine sind so gut poliert, dass man sie als solche nicht direkt erkennt. Die feinen Geschmacksnoten von Himbeere und Schokolade sind wunderbar, doch mehr begeistert der Wein auf ganz anderem Niveau als ein Juwel, welches man nicht so sehr wegen der Edelsteinqualitäten, sondern der Arbeit des Juweliers bewundert. Es geht hier nicht um die Kategorien von „lecker“, sondern um solche wie Charakter, Komplexität, Anregung der Entdeckungslust. Denjenigen, der von diesem Tropfen „nur“ ein Leckerbisschen erwartet, kann der Larcis Ducasse 2018 angesichts des Preises auch enttäuschen, doch für den wahren Weinliebhaber ist er jeden Cent wert.

Bellefont-Belcier

Das Château seines Opponenten Bellefont-Belcier liegt in unmittelbarer Nachbarschaft des Château Larcis Ducasse im südlichen Teil von Saint-Émilion. Die Fläche wird mit 72 % Merlot, 17 % Cabernet Franc und 11 % Cabernet Sauvignon bebaut. Das durchschnittliche Rebenalter beträgt 35 Jahre.

Wie schmeckt der Wein aus den Trauben, die die gleiche Luft atmen und nur ein paar Hundert Meter entfernt wachsen?

Wir öffnen eine Flasche aus dem Jahrgang 2019 (70 % Merlot | 25 % Cabernet Franc | 5 % Cabernet Sauvignon). Er braucht ca. eine Stunde zum Atmen, verbreitet aber bereits direkt nach dem Öffnen der Flasche unglaublich verführerische Aromen.

In der Nase ist der Wein würzig, komplex und fruchtig: Pflaumen-Konfitüre, Tomatenmark, später etwas Speck. Am Gaumen tanninreich, besitzt vollen Körper. Etwas Orange, schwarze Schokolade und Veilchen, Blaubeere und Zigarrenkiste – was für ein Bouquet! Beim langen mineralischen Abgang offenbaren sich zerdrückte Himbeere und Karamell. Der Wein ist verführerisch lecker. Er geht mit Ihren Sinnen auf einen Spaziergang und mal die eine, mal die andere Note klingt lauter.

Der Larcis Ducasse kommt mir ruhiger und etwas harmonischer vor, er hat mehr Stil und Präzision, seine Eleganz ist beinah unanfechtbar. Diese Qualitäten wahrzunehmen, erfordert aber viel Konzentration. Er ist es aber dieser Mühe wert, genauso wie der bezahlte Preis!