Das Öffnen der Flasche vor der empfohlenen Genussreife. Sünde eines leidenschaftlichen Laien.

Manch ein Wein braucht mehr Zeit, um sich zu entfalten. Das gilt für die Lagerzeit in der Flasche über das Atmen nach dem Öffnen bis für die Zeit, die unsere Mund, Nase und Sinne brauchen, um eine Emotion zu entwickeln und eine Bewertung „auszusprechen“.

Zwischen diesen Phasen lassen sich oft auch gewisse Kohärenten feststellen. Ein guter und komplexer Wein mit langer Lagerkapazität braucht meistens auch reichlich Zeit, um zu atmen, bevor er in die Gläser gehört. Aber auch dann ist Geduld angesagt.

Derjenige, der diese Geduld nicht hat, wird viele Weine nie verstehen und bleibt der leidenschaftlichen Wein-Welt meistens fremd. Aber Sie, mein verehrter Leser, sind sicherlich anders gestrickt und geben sich Mühe, einen Augenblich inne zu halten und dem edlen Trank zuzuhören.

Der „Chateau Cambon la Pelouse“ aus dem Jahrgang 2016 hat eine Lagerkapazität um die 20 Jahre und ist laut Etikett ab 2022 trinkreif. Dieser hochwertige Wein ist ein Bordeaux-Klassiker und besteht zu 55 Prozent aus Merlot, 40 Prozent Cabernet Sauvignon und 5 Prozent Petit Verdot.

Nun, gerade derjenige, der hier so viel von Geduld sprach, öffnet die Flasche im Oktober 2020 (zwei Jahre vor der empfohlenen Trinkreife) und berichtet hier über seine Erfahrungen. 

Wein_Öffnen

Chateau Cambon la Pelouse 2016 trinkreif?

Auch wenn ich keinesfalls in der Profiliga spiele, habe ich doch ein paar Weinpaletten aus dem Fachweinhandel auf dem Gewissen und sollte den Effekt eigentlich kennen: bei der Verkostung des Chateau Tour Saint Christophe oder Chateau Haut Tropchaud – in der höheren Preisklasse ging es schließlich nicht viel anders.

Man öffnet die Flasche, lässt den Wein atmen, wundert sich, ja, ist sogar entzückt bei dem Anblick des durch den Trank fast schwarz gefärbten Korkens, freut sich im Voraus auf intensives Aroma und wunderbaren Geschmack … Man hat Erwartungen, die ein San Marzano Primitivo gleicher Preisklasse zweifellos sofort erfüllen würde, schmeichelnd mit fruchtig-üppigen Noten … Aber es ist anders.

Die erste Nase macht neugierig. Es fühlt sich für mich so an, als ob man ein komplexes edles Bukett in einem verschlossenen Paket geliefert bekommt. Der ist da, doch möchte er sich vor meiner Nase nicht vollständig öffnen.

Die zweite Nase gibt die Noten von getrockneten Pflaumen preis, die dunklen Beeren bleiben im Hintergrund … Man macht den ersten Schluck.

Die Begegnung ist samtig und leicht mineralisch. Tannin ist reichlich vorhanden, doch perfekt eingebunden. Etwas von gelber Frucht ertönt sehr leise in Hintergrund. Man hat immer noch den Eindruck, dass etwas den Sinnen entflieht, sich vollständig nicht entfalten will.

Vielleich braucht der Wein wirklich noch ein Jahr in seiner Flasche oder bedarf eines besseren Verkosters.

Trotzdem wartet auf uns noch eine überraschende Belohnung. Bei einem sehr langen Abgang genießt der Gaumen ein absolut edles Bukett: viel Kirsche, etwas von Eukalyptus und getrockneten Früchten, Veilchen.

Nun warten noch zwei Flaschen im Keller auf ihren Auftritt in den Jahren 2021 und 2022.